Klettersport und Uhu
Felsen erfüllen im Jahresverlauf verschiedene für das Leben und den Reproduktionsverlauf von Uhus bedeutende Funktionen. Diese Funktionen sind keineswegs auf die Brutfelsen beschränkt, sondern gelten grundsätzlich für alle Felsen in der näheren Umgebung (bis etwa 5 km) des Neststandortes als Lebensraum-Zentrum. Gerade die nicht zur Brut genutzten Felsen haben eine besondere Bedeutung für unverpaarte Uhus, die den Ausfall von Brutpartnern ersetzen können. Insoweit genügt es nicht, das Klettern nur an den jeweiligen Brutfelsen zu beschränken. Uhus nutzen die Felsen ganzjährig als Lebensräume. "Uhu-freie" Zeiträume existieren nicht. Klettersport kann zu allen Zeiten die Aktivitätsphasen des Uhus beeinträchtigen und dessen Reproduktionserfolg herabsetzen (Dalbeck & Breuer 2001).
Insoweit sind etwa auf die Brut- und Nestlingszeit des Uhus begrenzte Einschränkungen des Klettersports unzureichend. Das gilt auch für differenzierte Regelungen, die das Klettern z. B. an Felsen ohne in den Monaten November-Dezember erkennbares Balzgeschehen an Brutfelsen, an Felsen ohne Bruten generell oder an Brutfelsen nach dem 1. September erlauben. Sie werden den tatsächlichen Aktivitätsphasen des Uhus nicht gerecht.
Solche Regelungen würden zudem genaue Kenntnisse über die jeweils aktuelle Situation des Uhubestandes voraussetzen. Diese Informationen können aber selbst bei intensiver Beobachtung und auch von sehr erfahrenen Personen kaum gewonnen werden. Deshalb kann aus fehlenden Balzaktivitäten oder fehlenden Uhubeobachtungen nicht zuverlässig auf die Abwesenheit von Uhus oder Bruten geschlossen werden. Es kommt immer wieder vor, dass trotz intensiver Suche erfolgreiche Bruten erst aufgrund flügger Jungvögel im Sommer nachgewiesen werden.
Räumlich und zeitlich begrenzte Sperrungen sind insbesondere in Naturschutzgebieten, die dem Schutz des Uhus dienen sollen, keine Alternative zu einem generellen Kletterverbot. Naturschutzgebiete enthalten idealtypisch die nach den Zielen des Naturschutzes und der Landschaftspflege besonders schutzwürdigen und besonders schutzbedürftigen Gebiete. In Naturschutzgebieten ist "ungestörte Natur" ein absolutes Ziel und der Schutz vor negativen Veränderungen oberstes Gebot. In ihnen müssen für Pflanzen- und Tierarten derart günstige Lebensbedingungen entwickelt werden, dass aus diesen Gebieten heraus gefährdete Arten die Gesamtlandschaft wieder besiedeln können.
Die Klettersportseite hat bisher nirgends in Deutschland belegen können, dass ein räumliches Nebeneinander oder zeitliches Nacheinander von Klettersport und Uhuschutz ohne massive Schäden möglich ist. Von ihr wird aber immer wieder auf den Erfolg räumlich und zeitlich beschränkter Sperrungen mit flexiblen Anpassungen an die spezielle Brutsaison verwiesen. Hierbei bleibt stets unklar, um welche räumlich, zeitlich und sachlich konkreten Einschränkungen es sich handelt, und nie werden für die Klettergebiete Daten über die langjährige Populationsentwicklung oder den Reproduktionserfolg beigebracht. Die Angaben beruhen lediglich auf den Beobachtungen von Uhus oder Bruten in solchen Gebieten. Diese Beobachtungen stellt die EGE nicht grundsätzlich in Frage; sie sagen aber noch nichts über den konkreten Erhaltungszustand der lokalen Uhupopulation, zumal über einen längeren Zeitraum, aus.
Alle bundesweiten Bemühungen der EGE, nachprüfbare Daten seitens des Klettersports oder auch der staatlichen Naturschutzstellen zu erhalten, blieben ohne Resultat. Tatsächlich scheinen solche Untersuchungen im Sinne von Zeitreihen bis auf die Eifel aus keinem einzigen Klettersportgebiet Deutschlands oder Europas vorzuliegen. Das gilt etwa für Klettersportgebiete in Bayern und Baden-Württemberg (in beiden Bundesländern wird ein Rückgang der Uhubestände gemeldet), im Ith (Niedersachsen) und der Sächsischen Schweiz. Die einzig verfügbaren Daten stammen aus der Eifel mit den nachfolgend dargestellten Ergebnissen.
Wie wenig belastbar die Angaben der Klettersportseite sind, zeigen exemplarisch die Vorgänge im Bochumer Bruch (einem Steinbruch) bei Wülfrath, der immer wieder als Beispiel für die Koexistenz von Klettersport und Uhuschutz im selben Gebiet bemüht wird. Die Uhus hätten sich dort angesiedelt - trotz des ganzjährigen Kletterbetriebes. Zum Beweis präsentierte der DAV bei der Veranstaltung "100 Jahre Klettern in der Nordeifel" am 13.09.2008 in Nideggen und auf seiner Website ein Foto, welches aber tatsächlich Mäusebussarde zeigt. Zuvor hatten alle Referenten herausgestellt, man könne nur schützen was man kennt, und niemand kenne die Natur der Felsen besser als die Klettersportler. So erklärt sich manche Geschichte von der fröhlichen Koexistenz von Klettersport und Uhus. Zudem: 2007 hatte der Uhu im Bochumer Bruch von den Klettersportlern unbemerkt den Brutplatz gewechselt. Um die Brut wäre es schlecht bestellt gewesen, hätten Vogelschützer die Klettersportler nicht in letzter Minute darauf hingewiesen und zur Rücksicht aufgefordert. Das Gebiet ist das Modellgebiet des DAV, um die Vereinbarkeit von Uhuschutz und Klettersport unter Beweis zu stellen.
Klettersport im Rurtal
Die Buntsandsteinfelsen im Rurtal im nordrhein-westfälischen Kreis Düren sind eines der wenigen Gebiete, welche Nordrhein-Westfalen als Europäische Vogelschutzgebiete für den Uhu unter Schutz gestellt hat (EGE 2007). In diesem Bundesland sind ausweislich der Standarddatenbögen der Landesnaturschutzverwaltung deutlich weniger als 10 % der Population in Vogelschutzgebieten enthalten. In den als Naturschutzgebiet besonders geschützten Buntsandsteinfelsen des Rurtals darf an 20 von 92 bekletterbaren Felsen geklettert werden. Das ist deutlich mehr als ein Gutachten der Landesnaturschutzverwaltung als Kompromiss vorgeschlagen hatte. Die Naturschutzverbände hatten ein ganzjähriges Kletterverbot gefordert (Klünder & Siehoff 1997), sich aber nicht durchsetzen können, so dass heute an etwa 300 Routen aller Schwierigkeitsgrade 150 Kletterer pro Tag ihrer Freizeitbetätigung nachgehen können.
Unter Berufung auf eine im Jahr 2007 zwischen nordrhein-westfälischer Landesregierung und Deutschem Alpenverein (DAV) abgeschlossene Rahmenvereinbarung fordert der DAV mehr Klettermöglichkeiten im Rurtal. Diese Forderung wurde vom Verband auf einer Veranstaltung "100 Jahre Klettersport im Rurtal" im September 2008 bekräftigt. Der Vorgang ist kein Einzelfall: Auch an anderen Felsen in Nordrhein-Westfalen gibt es massive Konflikte mit illegalem und legalem Klettern (Lindner & Siehoff 2008).
In den letzten Jahren sind an den Buntsandsteinfelsen partiell Beruhigungen erreicht worden; sie haben zu einer tendenziellen Verbesserung des Erhaltungszustandes der fünf Uhupaare im Rurtal geführt. Die Verbesserungen betreffen die Uhubrutplätze Hochkoppel, Rath, Burg, Blens und einen fünften Brutplatz.
Bis zur einstweiligen Sicherstellung der Brutplätze 1995 lag die mittlere Jungenzahl dort unter 0,5 je Brutpaar und Jahr. Zwischen 1990 und 1998 kam es zu 10 Brutaufgaben (davon allein 8 bis 1995). Nach der einstweiligen Sicherstellung und Entfernung der Kletterhaken in den Felsen von Hochkoppel, Rath und Blens ab 1999 ist die mittlere Jungenzahl bis 2008 auf 0,98 je Brutpaar und Jahr gestiegen. Die Zahl der Brutaufgaben verringerte sich im selben Zeitraum auf 5. An der Hochkoppel verdoppelte sich die Anzahl erfolgreicher Bruten von 4 auf 8, die Zahl der Jungvögel stieg von 7 auf 19. In Rath war zwischen 1990 und 1998 keine einzige Brut erfolgreich; in den letzten Jahren immerhin 5. Am Burgfelsen kam es 2008 erstmals nach 10 Jahren wieder zu einer erfolgreichen Brut. In Blens erhöhte sich die Zahl erfolgreicher Bruten von 4 auf 6, die der Jungvögel von 6 auf 14. Die Zahl der Brutaufgaben sank von 4 auf 0. Am fünften Brutplatz gab es ab 1999 keine Brutaufgaben mehr (zuvor 3); dort brüteten die Uhus in den letzten vier Jahren in Folge erfolgreich. Diese Verbesserungen sind auf die Beschränkungen von Freizeitnutzungen in den Felsen und deren Umfeld zurückzuführen.
Trotz der erreichten Verbesserungen ist die Lage an vielen Stellen des Rurtals für den Uhu und die übrigen Felsenbewohner kritisch. Der Bruterfolg der Uhus im Rurtal bleibt weiterhin deutlich hinter den im Ahrtal ermittelten Zahlen zurück. Das Ahrtal drängt sich als Vergleichsgebiet auf, denn es wurde im betrachteten zusammenhängenden Vergleichszeitraum von 14 Jahren ebenfalls von fünf Uhupaaren besiedelt. Die Felsen des Ahrtals (Schiefer) sind allerdings als Klettersportgebiet ungeeignet. Hier ist der Bruterfolg der Uhus bei für sie sonst gleichen oder sogar ungünstigeren (!) Umweltbedingungen deutlich höher als im Rurtal. Der nach wie vor verminderte Bruterfolg im Rurtal ist auf eine Vielzahl freizeitbedingter Störungen zurückzuführen, einschließlich Todesfällen nachweislich auch auf den Einfluss des Klettersports. Heute brüten im Ahrtal zudem sieben Uhupaare. Aufgrund von Störungen und eines verminderten Reproduktionserfolges sind von den im Rurtal insgesamt für Uhus grundsätzlich geeigneten neun Bruthabitaten nur fünf regelmäßig besiedelt.
Die Uhupopulation des Rurtals ist auch mit in den letzten Jahren erreichten 0,98 Jungvögel je Brutpaar und Jahr auf Zuwanderung angewiesen. Für eine sich selbst tragende Population müsste der Wert über 1,0 liegen, für eine günstige Entwicklung der Population, welche Rückschläge in z. B. witterungsbedingt ungünstigen Jahren ausgleichen kann, müsste der Wert sogar 1,2 übersteigen. Zum Vergleich: Selbst bei in Abbau befindlichen Steinbrüchen liegt der Wert z. T. bei 2,0. Dort kann es zwar in Einzelfällen zu betriebsbedingten Verlusten kommen; freizeitbedingte Störungen scheiden aber aus (Breuer et al. 2009). Insofern ist der Erhaltungszustand der lokalen Uhupopulation des Rurtals auch weiterhin als ungünstig anzusehen. Diese Ergebnisse machen deutlich, dass Bestrebungen, die auf eine Lockerung der Beschränkungen des Klettersports im Rurtal drängen, in populationsökologischer Hinsicht inakzeptabel sind. Deshalb wäre die Zulassung weiteren Klettersports hier auch nach den Bestimmungen des Rechts der Europäischen Gemeinschaft unzulässig.
Der Uhu steht stellvertretend für die Lebensgemeinschaft der Buntsandsteinfelsen des Rurtals. Die für den Uhu erreichten Verbesserungen und neuerlichen Gefährdungen im Falle einer Lockerung der Einschränkungen des Klettersports betreffen mindestens gleichermaßen viele andere hochgradig bedrohte Arten, z. B. Ameisenlöwe, Mauereidechse, Schlingnatter und viele Fledermausarten (Lindner & Siehoff 2008).
Literatur
- Breuer, W., S. Brücher & L. Dalbeck (2009): Straßentod von Vögeln. Zur Frage der Erheblichkeit am Beispiel des Uhus. Naturschutz und Landschaftsplanung 41, (2), 41-46.
- Dalbeck, L. & W. Breuer (2001): Der Konflikt zwischen Klettersport und Naturschutz am Beispiel der Habitatansprüche des Uhus. Natur und Landschaft 76, (1), 1-7.
- EGE Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen (2007): Europäische Vogelschutzgebiete für den Uhu in Deutschland. Eine Bilanz mit Stand 01. Mai 2006. Naturschutz und Landschaftsplanung 38, (12), 383-384.
- Klünder, J. & D. Siehoff (1997): Naturschutzkonzept für die Buntsandsteinfelsen im Rurtal. Schriftenreihe Naturschutz im Kreis Düren, Heft 1.
- Lindner, M. & D. Siehoff (2008): Der Konflikt zwischen Klettersport und Naturschutz in Nordrhein-Westfalen (Teil 1). In Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz des NABU NRW: Jahresbericht 2008: 7-12.
Weitere Informationen zum Thema finden Sie unter der Rubrik "Fachbeiträge" der EGE.