Am 24. Oktober 2022 wäre Horst Stern 100 Jahre alt geworden. Stern stand mit Beginn der 1970er Jahre wie kaum ein anderer für den Naturschutz in Deutschland. Im öffentlichen Bewusstsein blieb vor allem „Sterns Stunde“ – ein Stück Fernsehgeschichte. In bis 1979 ausgestrahlten 26 Folgen konfrontierte Stern eine materiell orientierte Wohlstandsgesellschaft auf eine neuartige und unsentimentale Weise mit des Menschen Verhältnis zu Tier und Natur. So am Heiligen Abend 1971 mit den „Bemerkungen über den Rothirsch“, welche die Jagdlobby als ungeheuren Tabubruch empfand und eine hitzige forstpolitische Debatte auslösten. Stern führte vor, was ein aus ökologischem Unverstand und des Trophäenkults wegen gehätschelter Wildbestand aus dem deutschen Wald gemacht hatte. Alles dies – heute unvorstellbar – zur besten Sendezeit. Das Magazin „Der Spiegel“ lag damals richtig: „Nach der Heiligabend-Sendung wird Stern wohl auch mit den deutschen Jägern Streit bekommen.“
Stern schuf nicht nur ein neues Fernsehgenre. 1974 folgte die Zeitschrift „Nationalpark“, 1980 das Magazin „Natur“, dessen Herausgeber und Chefredakteur Stern bis 1984 war. Es hob den Naturschutz im Blätterwald erstmals auf dieselbe Höhe wie andere Magazine den Sport oder das Auto. Dass sich für den Naturschutz, wenn man es recht anstellte, eine breite Öffentlichkeit interessieren ließ, hatte Stern schon mit drei Buchbestsellern gezeigt: „Rettet die Vögel“ (1978), „Rettet den Wald“ (1979) und „Rettet die Wildtiere“ (1980). Aus der Vielzahl seiner Beiträge sei hier nur erinnert an „Stern für Leser“ (1973), „Mut zum Widerspruch“ (1974), „Das Horst-Stern-Lesebuch“ (1992) oder „Das Gewicht einer Feder“ (1997). 1972 gehörte Horst Stern zu den Gründern der „Gruppe Ökologie“, die sich als Protestbewegung gegen das mangelnde ökologische Bewusstsein der Industriegesellschaft verstand. 1975 war Stern Mitbegründer des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND). Überdies gibt es den Schriftsteller Stern, der mit Werken wie „Mann aus Apulien“ (1986), „Jagdnovelle“ (1989) und „Klint“ (1993) Natur, Naturwissenschaft und Naturschutz auch literarisch verband. Noch zum Ende der 1990er Jahre griff Stern als Kolumnist der später eingestellten Wochenzeitung „Die Woche“ Missstände an, so etwa in deutschen Nationalparks, die ob ihres unzureichenden Schutzes wegen das Etikett nicht unbedingt verdienen, das ihnen die Länderregierungen angehängt haben.
Stern stand am Ende der 1990er Jahre im engen Kontakt mit der Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen e. V. (EGE). Auf dieser Verbindung beruhten mehrere seiner Kolumnen, darunter die Kritik an der Naturschutzvergessenheit grüner Politik – so wegen des Desinteresses einer grünen nordrhein-westfälischen Umweltministerin, der er die von der EGE ermittelten Resultate unzureichender Berücksichtigung des Artenschutzes vorhielt. Klicken Sie bitte hier, wenn Sie Sterns Kolumne vom 29. Mai 1998 lesen möchten.
Horst Stern hat seine eigene Wirkung eher gering veranschlagt. Über sich selbst sagte der mit Ehrungen und Preisen ausgezeichnete Journalist, er habe den Menschen den Charakter ihrer Gesellschaft vorhalten wollen, aber man habe ihn unterm Strich für einen Tierfilmer gehalten. Zum Ende der 1990er Jahre zog sich Stern vollends aus der Öffentlichkeit zurück. Am 17. Januar 2019 ist Horst Stern gestorben.
Stern war eine Orientierungsgestalt für eine ganze Naturschützer-Generation. Er verschaffte dem Naturschutz eine bis dahin ungekannte und nicht wiedererlangte Aufmerksamkeit. Seit Stern hat niemand mehr die Zerstörung der Landschaft und das Elend der Tiere so öffentlich wirksam angeklagt. Seine Kritik galt nicht allein der bloßen Ahnungslosigkeit, sondern zielte auf die hemmungslose Profitgier und damit einen Eckpfeiler der Gesellschaft, die – wie Stern es formulierte – den Preis von allem und den Wert von nichts kennt. Sterns Kritik der Zustände ist aktueller denn je. Mit Sterns Wirken definierte der Naturschutz seinen Anspruch als ein alle Politik- und Wirtschaftsbereiche durchdringendes Handlungs- und Gestaltungsprinzip, vollzog sich die Professionalisierung des Naturschutzes und nicht zuletzt die gesetzliche Absicherung seiner Ziele und Aufgaben. Seitdem haben sich die Mitgliederzahlen der Naturschutzorganisationen vervielfacht, ebenso die mediale Präsenz des Naturschutzes, die ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel und etablierte sich eine zwar von der Politik vielfach blockierte, aber an sich professionelle Naturschutzverwaltung.
Trotz dieser Errungenschaften ist die Bilanz des Naturschutzes in Deutschland dramatisch negativ. Gegenüber der inneren Ursache der Misere – einer von bloßer Gier und verantwortungsloser Freiheit getriebenen Ökonomisierung aller Lebensbereiche – ist der Naturschutz weithin kritik- und sprachlos geblieben. Es fehlt in den Organisationen des Naturschutzes an analytischer, konzeptioneller und strategischer Kompetenz, an der Fähigkeit und Bereitschaft zum Konflikt, an Unabhängigkeit und moralischem Format, am wenigsten vielleicht an Personen, aber an Persönlichkeiten. Sterns Platz ist leer geblieben. An Stern erinnern sich nur noch wenige Menschen. An welchen Personen orientieren sich Naturschutz und Naturschützer heute? An Greta Thunberg und Luisa Neubauer? An die amtierenden grünen Minister der deutschen Ampelkoalition Steffi Lemke und Robert Habeck? An die Vorsitzenden der großen Umweltorganisationen? Dem Naturschutz ist ein Stern zu wünschen am Horizont und weniger Irrlichter.