Am 28. März 2023 haben die übernächtigten Mitglieder des Koalitionsausschusses der in Deutschland regierenden Ampelkoalition in einer 30stündigen Sitzung Beschlüsse gefasst, die für den Naturschutz in Deutschland nichts Gutes erwarten lassen. Nach der im letzten Jahr überstürzt durchgesetzten Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes steht nun die naturschutzgesetzliche Eingriffsregelung im Fadenkreuz der „Fortschrittskoalition“:
Das Bundesnaturschutzgesetz verlangt seit 1976, dass die mit Bauvorhaben verbundenen unvermeidbaren Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft bestmöglich repariert werden. Diese Verpflichtung galt damals als ein Meilenstein des Naturschutzes. Zwar hält die Ampelkoalition an der Eingriffsregelung an sich noch fest, aber der Eingriffsverursacher soll – so lesen es Kenner der Materie aus den 16seitigen Beschlüssen heraus – künftig wählen können, ob er Maßnahmen zum Schadensausgleich ergreift oder eine Naturschutzabgabe entrichtet. Das ist zwar prinzipiell nicht neu, aber freikaufen kann sich der Eingriffsverursacher mit einer „Ersatzzahlung“ bisher erst dann, wenn die Eingriffsfolgen nicht mit Naturschutzmaßnahmen kompensiert werden können. Zudem sind Eingriffe, deren Folgen so schwerwiegend sind, dass die nicht behoben werden können, unzulässig – sofern der Naturschutz vorrangig ist.
Schon eine frühere Bundesregierung verfolgte ein ähnliches Ziel – und zwar 2009 die Koalition aus CDU, CSU und FDP. In ihrem Koalitionsvertrag hieß es: „Wir werden den Bundesländern die Kompetenz geben, beim Ausgleich von Eingriffen in die Natur das Ersatzgeld anderen Kompensationsmaßnahmen gleichzustellen.“ Die Fachleute des Naturschutzes fürchteten damals nicht grundlos die Aushöhlung der Eingriffsregelung und statt eines echten Schadenausgleichs schnöden Ablasshandel.
Dieses Ansinnen wurde damals wegen verfassungsrechtlicher Bedenken nicht ins Werk gesetzt. Prof. Dr. Christoph Degenhart von der Universität Leipzig hatte diese in einem an das Bundesumweltministerium adressierten Gutachten aufgezeigt. Soweit reicht das Erinnerungsvermögen der amtierenden Bundesregierung nicht. Feierte der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil am Abend des 28. März 2023 in einem Interview im heute Journal die Aufgabe des Vorranges naturaler vor monetärer Kompensation denn nicht als Paradigmenwechsel und als Fortschritt – bizarrer Weise als Fortschritt für den Naturschutz? Im Beschluss wird für weitere Gesetzesänderungen „ein Konsultationsprozess mit Verbänden, Praxis und Wissenschaft“ angekündigt. Die Koalitionäre wollen einen „Turbo einlegen“, „Deutschlandgeschwindigkeit“ und noch mehr „Wums“.
Nach der fatalen Öffnung der Landschaftsschutzgebiete für Windenenergieanlagen, dem Abbau von planungsrechtlichen Vorschriften und einem dramatischen Abbau des Artenschutzrechts zugunsten der Windenergiewirtschaft arbeitet die Ampelkoalition offenkundig an einer weiteren beispiellosen Entrechtung des Naturschutzes. Die Kritik der Spitzen der Naturschutzorganisationen fällt verhalten aus. Allerdings wachsen Zweifel am Kurs der Bundesregierung an der Basis dieser Verbände und nicht nur dort.