Liebe Freundinnen und Freunde der Uhu – und Waschbären – Cam,
in der vergangenen Woche konnten wir häufiger Waschbären als Uhus beobachten. Zwei Bären wurden abends vom Schneefall überrascht, dann übernachteten und übertagten sie in der Felsspalte hinter der Brutnische. In den Jahren zuvor nutzten die Uhus diese Stelle noch als Kühlschrank für ihr Nahrungsdepot. Am Samstagabend schien es, als würden die Bären an der Familienplanung arbeiten, ganz anders als wir es uns wünschen…
Keine Uhus im Nestbereich, deshalb können sich die Bären breitmachen
Nach meiner Einschätzung sind die ausgeprägten Bären-Aktivitäten im traditionellen Uhunest nur möglich, weil sich unser Uhupaar in den vergangenen Wochen weniger für diesen Bereich der Felswand interessierte. Die Uhus hielten sich meist am Nebenfelsen auf. Hätten sie sich noch oft im Nestbereich vor der Cam aufgehalten, wäre es früher oder später zur Konfrontation mit den Waschbären gekommen und es wäre für die Vierbeiner wahrscheinlich ein erschreckendes Erlebnis gewesen. (erinnern Sie Lottes Angriff auf den Fuchs? LINK) Ihrem Wesen nach sind sie zwar penetrant, aber gleichzeitig auch „kleine Schisser“.
Die Erfahrung mit dem Fuchs
Erstaunlich viele Uhunistplätze in der Eifel sind auch für Vierbeiner zugänglich und bei meinen Kontrollen sind schlafende Füchse im Uhunest ein regelmäßiger Anblick. Es sind dann jedoch immer jene Brutnischen, die im betreffenden Jahr nicht genutzt werden. Oft sind die Uhus ein Jahr später wieder zurück im Traditionsnest. Sicher nicht, weil sie von den Füchsen eingeladen wurden, sondern eher, weil sie sich ihr Hausrecht zurück erobert haben. Uhus haben durchaus einen Instinkt, der ihnen rät, Füchse im Nestbereich nicht zu dulden. Erwachsene Füchse haben von erwachsenen Uhus mehr Unannehmlichkeiten zu befürchten als andersherum. Uhus greifen lautlos von hinten oben im Dunkeln an und dies ist so ziemlich das Unangenehmste, dass einem passieren kann. So ergibt sich tendenziell eine Rangordnung zwischen den Arten. Es schließt jedoch nicht aus, das auch mal ein sehr geschickter Fuchs einen besonders ungeschickten Uhu erbeuten könnte.
Waschbären sind jedoch weniger auf das Überwältigen großer Beutetiere ausgelegt als Füchse. Sie dürften daher für erwachsene Uhus noch weniger gefährlich sein.
In der Beziehung zum Fuchs haben Uhus weitere Möglichkeiten: Wenn ihr Konkurrent Beute gemacht hat, greift der Uhu ihn an, während der Vierbeiner durch das Tragen der Nahrung wenig wehrhaft ist. Uhus sind akustisch orientiert und können schnell vor Ort sein, um diese angreifbare Situation auszunutzen. Sind es halbwüchsige Füchse, müssen sie dabei um ihr Leben fürchten und verlieren nicht nur die Beute. Solche Erlebnisse können den Respekt vor Uhus festigen.
Waschbären jedoch ernähren sich eher von kleinen Tieren und auch vegetarisch. Ihre Beute ist für Uhus in der Regel weniger interessant. Im Gegensatz zum Uhu ist der Kleinbär auch mehr im Wald als im Offenland unterwegs und die Jagdgebiete überschneiden sich weniger.
Ein „kritischer“ Instinkt?
Wir können nicht ausschließen dass es bei unserem Uhupaar einen „kritischen Instinkt“ gibt. Er könnte ihnen ein irritiertes Gefühl wegen der abgebrochenen Jungenaufzucht des Vorjahres oder ein kleines Unbehagen den noch recht fremden Waschbären gegenüber eingeflüstert haben. Uhus sind individuell sehr verschieden und haben auch verschiedene Verhaltensmuster. Vielleicht meiden die Uhus die Bären bis sie mehr Erfahrung mit ihnen haben? Orientierte sich Lotte daher zum Nebenfelsen? Ich glaube es nicht, aber möglich wäre es. Sind die Waschbären für unsere Uhus wirklich noch „fremde Wesen“ oder gab es fernab der Cam in den vergangenen Jahren schon Auseinandersetzungen der beiden Arten und die Rangordnung ist längst ausgemacht? Sehen die Uhus in den Bären keine ernste Gefahr, weil sie sich überlegen fühlen?
Uhu vers. Waschbär in anderen Regionen
Aus dem Raum Wülfrath berichtet der dortige Uhukenner Detlef Regulski von Auseinandersetzungen zwischen Uhu und Waschbär. Die Uhupaare dort haben ihre Arbeitsteilung bei der Jungenaufzucht an die Bedrohung der Nestlinge durch den Kleinbären angepasst. Die Uhuweibchen bleiben zur Bewachung der Jungvögel ständig vor Ort, die Männchen sind allein für den Nahrungserwerb zuständig bis die Jungen ausreichend wehrhaft und mobil sind. Zum Uhunest drängende Waschbären werden ausdauernd angegriffen und geben irgendwann auf. In einem großflächigen Steinbrüch wurden die Jungvögel von drei Uhupaaren flügge, gleichzeitig leben dort mehrere Waschbärclans.
Wie sich “unsere“ Kleinbären vor der Cam nach einer Uhuattacke verhalten wissen wir nicht. Oder noch nicht.
An der Ahr
Bei unserem Uhupaar an der Ahr könnte es längerfristig einen neuralgischen Punkt geben. Leo war (im Gegensatz zu seinem Vorgänger) noch nie wirklich in der Lage seine Familie alleine zu versorgen. Es gab viele Nächte in denen noch sehr kleine Uhuküken stundenlang von beiden Eltern alleine gelassen wurden, weil Lotte zwingend mit jagen musste. Nur daher war das Desaster im Vorjahr möglich. Werden unsere Uhus eine Lösung für das Problem finden? Mit ein wenig Hilfe meinerseits können sie zwar rechnen, die Problematik gänzlich auszuschalten wird jedoch nicht gelingen. Vielleicht sind diese Uhus an diesem Brutplatz mit Waschbären auch nicht die richtigen, um die Situation zu meistern. Auch das wäre möglich. Sicherlich ist Leo größeren Vierbeinern gegenüber weniger kampfbereit als sein Vorgänger, der dutzende Jungfüchse erbeutete. Als er vor Jahren einem Fuchs im Nestbereich begegnete beließ er es bei Drohgebärden.
Sichere Brutnische?
Keine fünfzehn Meter von der Cam entfernt gibt es eine sehr sichere Brutnische. Sie liegt in einem senkrechten nackten Felsbereich unter einem Überhang und beherbergt ein großes altes Nest. „Schwarzstorchhorst“ nennen wir diesen Brutplatz. Schon als wir 1980 erstmals mit der Beobachtung des Felsens begannen, war das Nest aus Ästen und Rebabschnitten dort. Wir vermuten, dass es damals schon viele Jahrzehnte alt war. 1996 brüteten die Uhus dort. Am Seil hängend hatte ich Mühe, in das durch den Überhang geschützte Nest zu gelangen. Sollten Waschbären versuchen, diese Stelle zu erreichen, müssten sie eine gewagte Kletterpartie ohne Deckung von Büschen oder Bäumen hinlegen. Schon durch ein kleiner Rempler könnten sie zum Sturz in die Tiefe gebracht werden.
Offensichtlich fehlt unseren Uhus der Drang, den möglichst sichersten Brutplatz zu wählen. Vielleicht war dieser Instinkt in den vergangenen 40 Jahren noch weniger überlebenswichtig und wird nun erst nach und nach entscheidender für den Bruterfolg. Möglicherweise werden sich zukünftig in manchen Uhulebensräumen nur jene vermehren, die über die hier passenden Instinkte verfügen.
Uhus sind individuell verschieden, vielseitig und oft erfolgreicher, als wir ihnen zutrauen.
Obwohl Uhus nicht sonderlich intelligent zu sein scheinen, ist die Programmierung ihrer Instinkte doch immer wieder erstaunlich schlau. Auch nach über 40 Jahren Uhubeobachtung überraschen mich die großen Eulen immer wieder mit der Vielfalt unterschiedlicher Verhaltensmuster.
Ein Beispiel: Zwei Uhuweibchen in der Eifel kennen den Klang meiner Autotüre und wenn ich am Aussichtspunkt zum Uhubrutplatz angekommen bin, haben sie sich schon in einer Höhle hinter der Brutnische vor mir versteckt. Es ist ihnen unangenehm, beim Brüten von Mensch (oder von mir, der ich später an ihr Nest klettere) angeschaut zu werden. Sie haben eine Taktik entwickelt, um mit der Situation zurecht zu kommen. Andere Uhus an anderen Brutplätzen werden von dutzenden Menschen während der Jungenaufzucht regelmäßig beobachtet, dort haben sich die Uhus daran gewöhnt und sind dabei so entspannt, als wären die Menschen ein Grasbüschel im Wind.
Ein Jahr ohne Brut?
Seit Beginn der Webcam Übertragung 2008 haben die Uhus schon mehrfach eine Brut ausgelassen. Dies könnte auch in 2022 der Fall sein. Den „versteckten, neuen Sitzplatz von Lotte“ konnte ich zwischenzeitlich ausspionieren. Am 2.4. saß sie dort aufrecht und es gibt keine Anzeichen einer Eiablage.
Andererseits können wir in jeder Nacht mehrfach Kopulationen hören, eine Brut wäre also immer noch möglich. Die direkten Nachbarn ahraufwärts brüten bisher nicht, die Nachbarn ahrabwärts beginnen gerade mit der Eiablage. Das Brutpaar noch weiter ahrabwärts hatte am Samstag den 2.4. schon kleine Küken. Generell scheinen in der Eifel 2022 ¼ bis 1/3 der Uhus nicht zu brüten, ein Zusammenhang mit den Waschbären ist daher keinesfalls sicher anzunehmen.
Sinn und Zweck der Cam
Die EGE betreibt die Cam auch zur „Unterhaltung“. Darüber hinaus bietet die Übertragung jedoch auch Einblicke ins Uhuleben, die anders nicht möglich wären und kann wichtige Impulse zum Schutz für Uhus und ihren Lebensraum geben. So konnten wir die „Spritzhubschrauberproblematik“ erkennen und entschärfen.
Nun haben wir die Möglichkeit, den Einfluss der invasiven Waschbären zu erkennen und zu dokumentieren. Die Möglichkeit, dieses Spannungsfeld genau zu beobachten, ist einzigartig und kann viele Erkenntnisse liefern.
Sollten viele Zuseher abspringen und sollte auch das Spendenaufkommen dadurch sinken, werden wir es wohl in Kauf nehmen müssen.
Mit vielen Grüßen und nicht mehr viel Hoffnung auf eine diesjährige Brut vor der Cam
Ihr Stefan Brücher