Der Gesetzgeber hat die Störungs- und Schädigungsverbote des § 44 Abs. 1 des Bundesnaturschutzgesetzes zugunsten der land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Bodennutzung sowie für Eingriffe in Natur und Landschaft eingeschränkt. Begünstigt sind damit ausgerechnet die Hauptverursacher des Artensterbens. Für sie sind die Schädigungs- und Störungsverbote auf den Schutz von 598 Arten, nämlich der europäischen Vogelarten (in Deutschland 466 Arten) und der Arten des Anhanges IV der FFH-Richtlinie (in Deutschland 132 Arten) beschränkt. Das sind nur 23 Prozent der besonders geschützten und weniger als 0,8 Prozent der heimischen Arten.

Die Koalitionäre der derzeitigen deutschen Bundesregierung wollen dieses Niveau noch weiter senken, nämlich auf einen „bundeseinheitlichen Populationsansatz“. Hinter dem sperrigen Vertragsdiktum steht der Wunsch aus Politik, Wirtschaft und Kommunen nicht länger einzelne Pflanzen und Tiere zu schützen, sondern nur solche Schädigungen von Arten dem Artenschutzrecht zu unterwerfen, welche ein populationsrelevantes Maß erreichen können. Gearbeitet wird an der Aushöhlung des Artenschutzrechts schon lange. Dazu zählt beispielsweise die vorgenommene Unterscheidung in planungsrelevante und planungsirrelevante Arten. Eine von Naturschutzbehörden (!) gelieferte Unterscheidung, welche den Großteil der Arten faktisch zu Egalarten erklärt.

Das Anliegen der Bundesregierung könnte durchaus mehrheitsfähig sein. Der Erfolg wäre nicht ohne Beispiel: Schon im Juli 2022 gelang ein solcher Erfolg zugunsten der Windenergiewirtschaft. Die Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages stimmte für die Beschränkung der Liste der an Windenergieanlagen kollisionsgefährdeten Brutvogelarten auf 15. Aufzufinden sind diese Arten seitdem in Abschnitt 1 der Anlage 1 zu § 45 b Abs. 1-5 des Bundesnaturschutzgesetzes. Darin fehlen beispielsweise Mäusebussard und Feldlerche, obgleich Individuen beider Arten in großer Zahl an den Anlagen zu Tode kommen. Allein am Anlagenbestand des Jahres 2016 in den vier norddeutschen Bundesländern sterben nach Berechnungen einer von Bundesministerien geförderten Studie 8.580 Mäusebussarde in einem jeden Jahr. Egal. Der letzte deutsche Bundestag hat auf Betreiben der damals grüngesteuerten Ministerien für Wirtschaft und Umwelt den Mäusebussard und die Feldlerche nicht in die als abschließend befundene Liste kollisionsgefährdeter Vogelarten aufgenommen.

Ist diese Beschränkung und sind andere in der letzten Legislaturperiode zugunsten des Ausbaus der Windenergiewirtschaft herbeigestimmte Regulierungen des Naturschutzrechts im Bundesnaturschutzgesetz mit dem Unionsrecht vereinbar? Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 01.08.2025 (Az. C-784/23) mag man die Hoffnung hegen, sie sind es nicht. Dr. Matthias Schreiber hat für das Osnabrücker Umweltforum das Urteil des EuGH beleuchtet und daraus Schlussfolgerungen für klagebefugte Naturschutzvereinigungen, das Bundesamt für Naturschutz und die für Wirtschaft und Kommunen tätigen Gutachterbüros gezogen. Seinen Beitrag finden Sie hier.

Das Urteil umfasst die Antworten des EuGH auf ein Vorlagersuchen des obersten estnischen Gerichts im Zusammenhang mit der Europäischen Vogelschutzrichtlinie zu dem Verbot des Holzeinschlages während der Brut- und Aufzuchtzeit von Vögeln – von Arten, die in Deutschland in behördlichen Entscheidungen zumeist als nicht planungsrelevant beiseitegeschoben werden. Der EuGH indessen bestätigt den Individuenbezug und den Absichtsbegriff beim Artenschutz für europäische Vogelarten.

Übrigens hatte die Generalanwältin am EuGH, die deutsche Juristin Juliane Kokott, in ihren Schlussanträgen zu diesem Verfahren ausführlich für einen weniger strengen Artenschutz für europäische Vögel geworben. Die Schlussanträge sind üblicherweise die Gutachten, welche die Entscheidung des EuGH vorbereiten sollen. Der EuGH hat die Überlegungen der Generalanwältin mit keiner Silbe gewürdigt. Gut so. CDU, CSU und SPD haben allerdings in ihrem Koalitionsvertrag vorgesorgt: Wo EU-Vorschriften den deutschen Absichten Grenzen setzen, will die Bundesregierung eine europäische Beschleunigungsinitiative starten. Deutschland eben.