Die deutsche Bundesregierung will den Vorrang der Realkompensation vor Geldzahlungen aufgeben und Eingriffsverursachern den Weg öffnen, sich von Ausgleichsverpflichtungen freizukaufen. Diese Absicht ist Teil der Beschlüsse des Koalitionsausschusses vom 28.03.2023. Für die Durchsetzung dieser Absicht müsste das Bundesnaturschutzgesetz erneut geändert werden. Dann wäre nicht mehr vorrangig die bestmögliche Reparatur der Eingriffsfolgen verlangt, sondern nur noch als Gegenleistung für Eingriffe „irgendetwas Gutes für Natur und Landschaft“. Die Grünen betonen im Nachgang zu den Beschlüssen, es ginge bei der Ausweitung der Ersatzzahlung „lediglich um Brücken und Engpässe“ bei Infrastrukturprojekten. Dr. Andreas Lukas, Dozent an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Rheinland-Pfalz, hat diese Darstellung in der Mai-Ausgabe der Zeitschrift „Naturschutz und Landschaftsplanung“ als „eine arge Fehleinschätzung“ bezeichnet. Tatsächlich geht es der Koalitionären um eine grundlegende Änderung der Eingriffsregelung mit Folgen für sämtliche Eingriffe in Naturhaushalt und Landschaftsbild. Die Fehleinschätzung der Grünen ist angesichts ihrer Naturschutzferne keine Überraschung, sollte hier nicht bewusst eine falsche Fährte gelegt werden.
Ärgerlich ist das Ansinnen der Fortschrittskoalition nicht allein wegen des Verzichts auf die nach den Umständen bestmögliche Reparatur von Eingriffsfolgen, sondern auch deswegen, weil mit den Einnahmen eine Verpflichtung eingelöst werden soll, die schon nach dem Bundesnaturschutzgesetz von 2010 eine Grundverpflichtung des Staates ist: nämlich der Aufbau eines Biotopverbundes auf mindestens zehn Prozent der Fläche eines jeden Bundeslandes. So gesehen ist das als Synergieeffekt bemäntelte Resultat kein Mehr, sondern ein Weniger für den Naturschutz. Das Geld soll für ein Ziel verwendet werden, das zu erreichen der Staat auch ohne die Instrumentalisierung des Eingriffsausgleichs verpflichtet ist.
Nun dürfte es umso mehr auf die Zivilgesellschaft – genau genommen auf die Naturschutzvereinigungen – ankommen, der Bundesregierung in den Arm zu fallen. Allerdings ist mehr als fraglich, ob diese Vereinigungen dazu noch die Kraft finden. Insider rechnen damit, dass sich diese Verbände in dem von der Ampelkoalition angekündigten Konsultationsprozess mit einer Partizipation an den Mehreinnahmen aus der Ersatzzahlung für den Plan der Regierung gewinnen lassen. Immerhin ist auch die Kritik der viel beschworenen Zivilgesellschaft an der Öffnung der Landschaftsschutzgebiete und der Absenkung des Artenschutzrechts zugunsten von Windenergieanlagen weithin ausgefallen. So hofft man in den Naturschutzverbänden auch darauf, an der Verwendung der Zahlungen mitwirken zu dürfen, welche die Betreiber von Windenergieanlagen seit der Änderung des Artenschutzrechts für die Lizenz zum Töten von Vögeln und Fledermäusen in nationale Artenhilfsprogramme einzahlen müssen. Der befürchtete Ablasshandel im Naturschutz ist längst im Gange.