Wirtschafts-, Klima-, Energie-, Umwelt- und Landwirtschaftsministerium – die Schlüsselressorts für einen durchgreifenden Naturschutz sind auf Bundesebene in grüner Hand. Und in elf von 16 Bundesländern stellen Bündnis90/DieGrünen die Umweltressortchefs. Aber auch außerhalb dieses vernetzten Parteibiotops hat das grüne Gedankengut Wurzeln geschlagen, schießt es ins Kraut, treibt Blüten und bildet Filz. Mehr grün war nie.
In Deutschland gibt es einen breiten gesellschaftlichen Konsens für die rasche Abkehr von fossilen Energieträgern weit über die bundesdeutsche Ampelkoalition hinaus und seit dem Ukrainekrieg vor allem von solchen aus Russland. Für den Abbau des deutschen Anteils von zwei Prozent am globalen CO2-Ausstoß scheint den Deutschen, der Abwendung einer kollektiv erwarteten Erderhitzung und Klimakatastrophe wegen, kaum ein Opfer zu groß zu sein. Es schließt die Wiederaufnahme der Gasförderung an der Grenze der Wattenmeer-Nationalparke, Windparks in Landschaftsschutzgebieten, die Zulassung von LNG-Terminals ohne Umweltprüfung und massive Einschränkungen des Artenschutzrechts ein. Soll eine Fabrik errichtet werden, mag sich dagegen argumentieren lassen. Ist es am selben Standort eine Fahrradfabrik, sieht die Sache anders aus, weil Fahrradfahren umweltfreundlich ist. Unangreifbar sind die Pläne und Projekte im Namen der Energiewende. Für die parteiübergreifende grüne Politik gibt es keine roten Linien mehr. Man will den Ausbau der Erneuerbaren Energien drastisch beschleunigen und dafür alle Hürden und Hemmnisse aus dem Weg räumen. Es ist dies nicht allein die „gemeinsame Mission“ der deutschen Ampelkoalition.
Die Folgen werden Natur und Landschaft kalt erwischen. Die Akteure des Naturschutzes scheint das wenig zu bekümmern, schaut man etwa auf die Reaktion beim 36. Deutschen Naturschutztag Ende Juni 2022 in Hannover, der unter dem Motto stand „Naturschutz jetzt!“ und zu dem 1.200 Teilnehmer gemeldet waren. Gab es Kritik am Kurs der Bundesregierung, fiel sie verhalten aus. Man ist sich weithin einig. Doch nicht ganz: In den Naturschutzbehörden hat man eine Vorstellung vom Preis der Transformation und weiß, was die Stunde geschlagen hat. Dort kommentiert man die Vorgänge illusionslos zumeist nur mehr hinter vorgehaltener Hand und in der Gewissheit, auf verlorenem Posten zu sein. Die Rolle der Naturschutzbehörden in diesem ernsten Stück ist die der stummen Statisten, nicht einmal mehr der Mahner. Politischen Einfluss haben allenfalls die großen Umweltverbände, die sich allerdings früh in die Nähe der regenerativen Energiewirtschaft begeben haben und Geister riefen, deren Pläne sie kaum mehr einhegen können, sollten sie dazu willens sein. Hat etwa der BUND nicht schon vor Jahren lauthals die Entfesselung des Ausbaus der Windenergiewirtschaft gefordert und der DNR ihn mit Kampagnen mehr unterstützt als angemessen war?
Der NDR überschrieb seine Berichterstattung über den Naturschutztag in Hannover mit der Schlagzeile „Klimaexperten treffen sich“. Diese Zeile wirft ein ernüchterndes Schlaglicht auf die mediale Wahrnehmung des Naturschutzes und seine Einordnung unter den Primat des Klimaschutzes. Klimaschutz ist Naturschutz. Diese gewollte Gleichsetzung ist das Narrativ einer durch und durch wohlmeinenden, aber kenntnisarmen Gesellschaft. Die Bundesumweltministerin Steffi Lemke wurde beim Naturschutztag in Hannover mit viel Beifall bedacht für bereitgestellte vier Milliarden Euro, die bis 2026 für den Klimaschutz in Moore und Wälder fließen sollen – und dort hoffentlich ankommen. Mit einem um ein Vielfaches größeren Mitteleinsatz wird der regenerativen Energiewirtschaft der Weg in Wald und Flur geebnet – mitten durchs Naturschutzrecht mit der seit Inkrafttreten dieses Gesetzes 1976 für Natur und Landschaft folgenreichsten Novelle. An einer wissensbasierten vorherigen Abschätzung dieser Folgen ist die Politik nicht interessiert. Gerade auf diesem Feld verstummt der Ruf der Anhänger grüner Politik: „Hört auf die Wissenschaft“. Politische Eckpunkte sollen wissenschaftlich basierte größere Mindestabstände beispielsweise zu den Aktionsräumen kollisionsgefährdeter Vogelarten ersetzen.
Nur wenige Naturschutzorganisationen artikulieren Kritik an den überhastet und dilettantisch vorbereiteten Gesetzesänderungen. Eine Kritik, für die sich Politik und Medien nicht interessieren. Eine Analyse im Auftrag der Deutschen Wildtier Stiftung offenbart fachliche und rechtliche Mängel der geplanten Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes. Klicken Sie bitte hier, wenn Sie diese Analyse lesen möchten. Wie steht die Naturschutzorganisation, die Sie unterstützen, zu den geplanten Änderungen des Naturschutzgesetzes?