Liebe Uhufreundinnen und –freunde,

in der vergangenen Nacht starb der zweite Junguhu. Gerne hätten wir Ihnen eine schöne heile Uhuwelt gezeigt, aber die Realität sieht leider anders aus. Es ist wirklich hart, so etwas live mitzuerleben.

Schlimmes ahnend hatte ich einige Stunden zuvor versucht, durch Ablegen eines überfahrenen Eichhörnchens zu helfen; leider vergebens. Aufgrund des anderen Nistplatzes kann Lotte nicht mehr zu der vom Männchen genutzten traditionellen Übergabestelle schauen; sie sieht nicht zwangsläufig, ob dort etwas liegt.

Ich versuchte es an einer anderen Stelle, und obwohl Lotte (oder war es Leo, der oben auf der Felsnase saß?) das Eichhörnchen hätte sehen können (müssen?), flog er/sie auf Nahrungssuche. Ein Stockentenpaar zog bei letztem Tageslicht im Tiefflug mehrere Kreise vor der Felswand, aber beide Altuhus waren unterwegs. Lotte rechnet schon seit Tagen nicht mehr auf eine ausreichende Versorgung durch das Männchen, sondern versucht selber, die Zwangslage zu überwinden. Die Jungvögel verbrauchen jedoch mehr Energie, wenn sie nicht von Lotte gehudert werden. 90 Minuten später liegt der kleinere Junguhu schon geschwächt auf der Seite und zwitschert mit letzter Kraft. Groteskerweise kommt eine Maus ins Bild gelaufen, sie sucht um die Nistmulde herum nach Fressbarem.

Wäre ungesichertes Klettern in der Felswand im Dunklen nicht lebensgefährlich, hätte ich ihn jetzt noch zu retten versucht. Später kommt Leo mit einer erbeuteten Ratte. Der angeborene Trieb, Nahrung für die Jungen zu zerkleinern, ist bei Uhumännchen kaum vorhanden (die Lehrbuchmeinung spricht den Männchen diese Fähigkeit gänzlich ab) und so bleiben die Küken hungrig. Der Kleinere liegt im Sterben. Nach einer weiteren Stunde kommt Leo abermals – von Lotte noch keine Spur. Gegen 3:30 Uhr versucht Leo erneut die Ratte loszuwerden und fängt in seiner Not an, Stücke abzureißen und diese unbeholfen an das noch verbliebene Küken zu verfüttern. Ein Teil der Ratte kommt so tatsächlich in den Kükenmagen. Vermutlich wurde so etwas noch niemals dokumentiert. Lernte er aus den Beobachtungen von Lottes Fütterungen?

2016-05-15--05-56-11

Um 6:00 Uhr, bereits bei Tageslicht, kommt Lotte zurück – mit einer erbeuteten Stockente. Die Restfamilie ist nun vorerst versorgt. Mit solch langen Abwesenheiten bei noch sehr kleinen Jungtieren riskieren die Uhueltern natürlich auch den Brutverlust durch andere Beutegreifer. Diesmal ist es gut gegangen und die Ente retten den Nachwuchs vielleicht.

Das Nahrungsangebot verändert sich:

Igel sind meist sehr laut unterwegs und daher für Uhus sehr leicht zu lokalisieren und leichte Beute. In den ersten 30 Jahren unserer Beobachtungen hatten die Uhus bei Nahrungsengpässen die Möglichkeit, von einem recht hohen Igelbestand zu profitieren.

Bei jeder Uhutour im Frühjahr konnten wir täglich mehrere überfahrene Igel sehen. Bei den Beringungen fand ich häufig Igelreste im Nest. Dies änderte sich 2011/2012. Vermutlich durch die strengen Winter bekam der Igelbestand einen „Knick“. So konnte ich bei den in der vergangenen Woche in der Eifel gefahrenen 1.100 Kilometern nur einen überfahrenen Igel sehen. Früher gab es so etwas nicht. Ob und wann der Igelbestand trotz dichterem Straßenverkehr, hohem Gifteinsatz in der Landwirtschaft und Bejagung durch Uhus wieder auf das frühere Niveau zurück finden wird bleibt abzuwarten.

Wie kommen die Nachbarn zu recht?

Bei den anderen Uhus an der Ahr sieht es nahrungsmäßig besser aus: Am Samstag hatten die nächsten Nachbarn bei einem Jungvogel (ca. fünf Wochen alt) einen Jungfuchs als Nahrungsreserve. Ein anderes Paar hatte bei drei Jungtieren (ebenfalls ca. fünf  Wochen alt) zwei Jungfüchse im Depot. Es scheint, als wäre die Fuchsjagd derzeit ein Schlüssel zum Überleben der Brut. Der hohe Fuchsbestand könnte die fehlenden Igel kompensieren.

Wie sieht die Zukunft von Lottes Familie aus?

Wurden die Füchse am Web-Cam-Brutplatz in den Vorjahren stets von Heinzl (dem vorherigen Männchen) erbeutet und  kann diese Ressource deshalb derzeit nicht mehr genutzt werden? Lernen „unsere Uhus“ noch Füchse zu erbeuten oder finden sie andere Nahrungsquellen? Die Auswertung unserer Beobachtungen  des Uhubestandes in der Eifel von 1980- 2015 zeigt deutlich eine Lernkurve neuer und neu verpaarter Uhupaare. Bis zum siebten Jahr steigt der Bruterfolg, Leo ist erst im zweiten Lebensjahr.

Diese Natur kann einem heftig zu schaffen machen und wir müssen noch lernen die Zusammenhänge zu verstehen…

Ihr Stefan Brücher