Die Ampelkoalition bereitet neuen Verdruss. Jedenfalls den E-Autokäufern und Landwirten. Die einen sind verärgert wegen über Nacht gestrichener Prämien, die anderen wegen des angekündigten Entzugs von Steuerprivilegien. Die Betroffenen können sich wehren, wie die Proteste der Landwirte vor dem Brandenburger Tor zeigen. Die Aufmerksamkeit ist garantiert.
Verlierer anderer politischer Entscheidungen leiden medial unbegleitet: die an Windenergieanlagen kollisionsgefährdeten Vogelarten. Ihre Zahl und die zu ihrem Schutz von den Vogelschutzwarten empfohlenen Prüfmaßstäbe hat der Bundesgesetzgeber im Juli 2022 drastisch reduziert. Von Kritik weitgehend unbehelligt, abseits des öffentlichen Interesses, ohne Diskussion bei Lanz und Maischberger, ohne Leitartikel auch nur einer großen Zeitung.
Zwar muss weiterhin geprüft werden, wie wichtig heute noch freie, künftig mit Windenergieanlagen bebaute Flächen als Nahrungshabitat oder der Luftraum darüber als Flugweg für 15 gefährdete Brutvogelarten ist. Diese Prüfung erfordert aber kein stundenlanges Beobachten der Vögel mehr an Ort und Stelle, ja nicht einmal einen einzigen Schritt ins Freie, sondern die Prüfung erfolgt am grünen Tisch. Der Blick auf topografische Karten und Luftbilder genügt. Das Zauberwort für den Ersatz zuvor langwieriger Beobachtungen im Gelände heißt „Habitatpotentialanalyse“. Auch das hat der Gesetzgeber 2022 entschieden. Die Details regelt der Bundeswirtschaftsminister in einer Verordnung. Der Entwurf dazu liegt nun vor: „Referentenentwurf einer Verordnung zur Festlegung der Anforderungen an die fachgerechte Durchführung einer Habitatpotentialanalyse im Anwendungsbereich des § 45 b des Bundesnaturschutzgesetzes“. Der Verzicht auf die zuvor verlangten Untersuchungen erspart der Windenergiewirtschaft nach Berechnungen des Bundeswirtschaftsministeriums jährlich 1.428.000 Euro an Ausgaben für Gutachter und Begehungen.
Fachleute halten den Verzicht auf die Erfassungen für unverantwortlich und die erwartbaren Ergebnisse für nur begrenzt belastbar. Die Wirklichkeit ließe sich auf diese Weise kaum abbilden. Der Entwurf sei eine abstruse Kopfgeburt, praxisfern und fehlerhaft. So rechnet der Entwurf fälschlich nur „offene und halboffene Feuchtgebiete“ zu den wichtigen Habitaten der Wiesenweihe. Dabei hat die stark gefährdete Art in Deutschland einen Schwerpunkt in ackerbaulich geprägten Gebieten. Beim Rotmilan unterschlägt der Entwurf die Bedeutung von Ackerflächen, obgleich der Rotmilan eine Charakterart auch ackerbaulich genutzter Gebiete ist.
Konflikte zwischen Windenergiewirtschaft und Vogelschutz werden mit diesem Entwurf nicht vorsorglich vermieden, sondern vorab ausgeblendet. Dabei müsste man angesichts des von der Ampelkoalition abgesenkten Artenschutzrechts die Konflikte nicht einmal fürchten: Denn gegen den Ausbau der Windenergiewirtschaft ist der Artenschutz nahezu an jedem Standort chancenlos. Auch dann, wenn sich der Konflikt selbst am grünen Tisch nicht mehr leugnen lassen sollte, folgen daraus kaum nennenswerte Einschränkungen oder Auflagen. Der Nutzen der vom Gesetzgeber akzeptierten Schutzmaßnahmen ist unbelegt oder minimal, die wenigen wirksamen Maßnahmen wie wochenlange Abschaltungen der Anlagen oder der Einsatz von Antikollisionssystemen scheitern zumeist an der vom Gesetzgeber zugunsten der Betreiber gesetzten Zumutbarkeitsgrenze. Und falls es einmal unbestreitbar arg kommen sollte für die Vögel, entrichtet der Anlagenbetreiber eine Abgabe für noch ungewisse Vogelschutzmaßnahmen.
Zu dem Entwurf dürfen die Umweltverbände über Weihnachten und Neujahr Stellung nehmen. Ihre Vertreter werden den Verkehr in Berlin nicht aufhalten, auch die Verordnung nicht und sie wohl nicht einmal ansatzweise besser machen.